Stahlblauer Himmel, Zuschauerrekord und eine äusserst enge Entscheidung: Der Riesenslalom von Adelboden hatte alles, was es für ein Skifest braucht.

(Dieser Beitrag entstand nach den Rennen von 2018)
Da biegt er ein, in den steilsten Zielhang der Welt. Eine halbe Sekunde Vorsprung gilt es in den letzten Toren des Riesenslaloms von Adelboden zu verteidigen. Der Sieg scheint Marcel Hirscher schon sicher. Doch plötzlich ruft ein Zuschauer: «Da ist er viel zu spät dran!» Tatsächlich unterlaufen dem Skiass ein, zwei Fehler.
Aus den Lautsprechern ertönt der Ohrwurm «Ohne Musig geht nix» – ein österreichisches Volkslied. Die Zuschauer johlen mit und jubeln dem Athleten frenetisch zu. Es entsteht der Eindruck, als sei er einer von ihnen – ein Schweizer oder gar ein Berner Oberländer. Die Nationalität spielt hier am Chuenisbärgli allerdings keine Rolle. Ob Österreicher oder Norweger, ob Erster oder Letzter, alle werden bis zur Überquerung der Ziellinie unterstützt.
Jahr für Jahr pilgern Tausende Zuschauer ins Berner Oberland, wo sie für eine einzigartige Stimmung sorgen – so auch 2018. Dabei drohte das Skifest zum zweiten Mal binnen drei Jahren ins Wasser zu fallen. Am Donnerstagabend hatte ein Erdrutsch einen Teil der Kantonsstrasse zwischen Frutigen und Adelboden so stark beschädigt, dass bis zuletzt nicht klar war, ob die Rennen stattfinden können.
Nur dank dem unermüdlichen Einsatz von Freiwilligen, dem Organisationskomitee (OK) sowie der Schweizer Armee war die Strasse am Samstag ab sechs Uhr wieder befahrbar. Den «62. Internationalen Adelbodner Skitagen» stand damit nichts mehr im Wege.
Die Freude, dass die Rennen stattfinden können, war riesig. Eine stundenlange Anfahrt nehmen die Zuschauer auf sich, um dabei zu sein. Österreicher, Norweger, Amerikaner, aber ebenso Japaner sind anzutreffen. Anwesend sind sie nicht nur, um ihre Lieblinge anzufeuern. Nein, vielmehr haben sie von der fantastischen Atmosphäre gehört, die hier oben herrscht. Diese elektrisierende Stimmung ist dann bereits zwei Stunden vor dem Start spürbar.
Am Eingang des Weltcupdorfes wird das legendäre Vogellisi angestimmt, und eine Guggenmusik spielt ihre ersten Klänge. Das Gedränge im Weltcupdorf wird immer grösser. Die Tribüne hingegen ist gut sechzig Minuten vor Rennfreigabe noch leer. Erst kurz vor zehn Uhr begibt sich die Masse dorthin. Die meisten ausgestattet mit einer Schweizer Fahne, einem Glas Weisswein sowie einer Prise Optimismus. «Heute sticht unser Schweizer Ass Justin Murisier», zeigt sich ein Fan fest überzeugt.
Adelboden braucht Unterstützung
Rund 31’000 Besucher verfolgen am Samstag den Riesenslalom am Chuenisbärgli – ein Besucherrekord. Eine freudige Nachricht für das OK, das in den vergangenen Jahren oft mit Wetterkapriolen konfrontiert war. Der Klimawandel bereitet auch dieser Skiregion, mitten in den Berner Alpen, Kopfzerbrechen. Ohne Kunstschnee könnte hier schon lange kein Weltcuprennen mehr durchgeführt werden. Ein «weisses Adelboden» am Rennwochenende ist so selten geworden wie «weisse Weihnachten» im Flachland.
Um den Betrieb für die kommenden Jahre aufrechtzuerhalten, sind daher hohe Investitionen notwendig. Wie Markus Waldner, Renndirektor des Internationalen Skiverbands FIS, in einem Gespräch mit «Tages-Anzeiger» erläutert, «muss in modernste Schneeanlagen mit leistungsstarken Kühlsystemen und Wasserreservaten investiert werden». Zwar habe Adelboden bereits solche Investitionen getätigt, diese Anlagen zu betreiben und zu unterhalten, koste allerdings haufenweise Geld. Auch deshalb wünscht sich der Präsident des Skiweltcups Adelboden, Peter Willen, mehr Unterstützung von allen Seiten. Dies, weil dieser Sportanlass nicht nur Auswirkungen auf die Region, sondern auch auf das ganze Land habe. In einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen sagt Willen: «Die touristische Seite ist gefordert.» Dazu betont er, dass «Gespräche mit Schweiz Tourismus im Gang sind».
Der durchschnittliche Besucher merkt von diesen Bedenken wenig. Dies auch, weil entlang der Dorfstrasse jährlich Essens- und Getränkestände dazukommen. Zudem haben die Bars die ganze Nacht geöffnet. «Wir sind zum Feiern da», sagt ein Zuschauer. Ein anderer meint: «Früher sind die Besucher fast ausschliesslich wegen des Sports gekommen, heute steht viel mehr das Festen im Zentrum.» Kurz nach dem Ende des Riesenslaloms sind die Festzelte auch schon rappelvoll. Wer jetzt an ein schnelles, müheloses Bestellen denkt, ist an der falschen Adresse.
Ausgeschenkt wird literweise Bier. Es gibt aber auch diejenigen, die an der Theke einen Glühwein ordern. Nebenan nippt eine junge Frau an ihrem «grüene Fröschli», einem Getränk mit Wodka, Minztee und Wasser. Daneben wartet ein älterer Mann mit seinem Kaffee Schnaps auf seine Freunde. Die Laune im Festzelt wird stets besser, die Luft hingegen zunehmend stickig. Die frische Bergluft ist nur noch Erinnerung. Erst Stunden später bewegt sich das Partyvolk wieder nach draussen. Die Sonne hat sich inzwischen verabschiedet, die Temperaturen liegen nun knapp unter dem Gefrierpunkt. Auf dem Märitplatz ist alles bereit für die Siegerehrung wie auch für die Startnummernauslosung für den Slalom vom Sonntag. Da saust auch schon der erste Skistar per Tirolienne über die Menschenmasse hinweg, um seine Startnummer abzuholen.
Vom einfachen Skirennen zum Publikumsliebling
Das Rahmenprogramm gewinnt wie an anderen Weltcupdestinationen auch in Adelboden stetig an Beliebtheit. Als vor über sechzig Jahren das erste Rennen stattfand, war der Anlass mit Strohballen am Pistenrand und einer Handvoll Zuschauer im Ziel ein überschaubarer Event. Seit 1995 ein neues OK die Organisation der Rennen übernommen hat, weht ein anderer Wind. Mit einer Tribüne, einem VIP-Zelt sowie einem Weltcupdorf setzen die Adelbodner vermehrt auf das Unterhaltungserlebnis. Ohne Rahmenprogramm sei ein solcher Event heutzutage gar nicht mehr finanzierbar, gibt Weltcup-Geschäftsführerin Katharina Hager zu bedenken.
Inzwischen verwaltet das OK ein Budget von 5,5 Mio. Fr. Die anderen beiden Austragungsorte, die seit Beginn im Weltcupkalender erscheinen, spielen allerdings in einer anderen Liga. Während Wengen mit 6,8 Mio. Fr. gerade noch in Reichweite scheint, sind die Hahnenkammrennen im österreichischen Kitzbühel mit einem Etat von 9 Mio. Fr. die mit Abstand teuersten Skirennen. Doch auch die «Internationalen Adelbodner Skitage» haben sich vom einfachen Skirennen zu einem der grössten und publikumsstärksten Anlässe im Skizirkus gemausert.
Doch zurück zu Marcel Hirscher. Eben hat er zwei grobe Fehler begangen. Reicht es noch für den Sieg? Am Schluss rettet er 0,17 Sekunden über die Ziellinie. Erschöpft liegt er im Schnee. «Ich genoss den Moment», wird er später sagen.

Aber so prestigeträchtig der Sieg hier oben auch sein mag, für viele aus dem Publikum bleibt beim Heimgehen nebst dem Namen des Siegers die Erinnerung an das Volksfest. Denn an diesem Wochenende wird aus der beschaulichen Dorfstrasse im Herzen des Berner Oberlands die grösste Partymeile der Schweiz.
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